
Literaturverzeichnis
I. Einführende Literatur
II. Weiterführende Literatur
Glossar
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Chancen-Struktur[V49:38] Das ist der Zusammenhang von gesellschaftlich vorgeformten Lebensmöglichkeiten, der einem Individuum aufgrund seiner sozialen Situation seines Bildungsstandes, seiner Lernfähigkeit offensteht. Dem korrespondiert eine subjektive Komponente: das, was das Individuum, seine Chancen einschätzend, für sich selbst tatsächlich erwartet oder aus seiner Erwartung ausschließt.
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Devianz[V49:39] In den Sozialwissenschaften gebrauchter Terminus, der alle Formen sozialer Abweichung zusammenfaßt. Darunter fallen auch biologisch, psychiatrisch und psychologisch definierte Abweichungen (Anormalitäten) insofern, als ihre Definition und Behandlung auf gesellschaftlich vermittelte, historisch veränderliche Klassifikationen und Weltbilder zurückgehen.
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Ich-Identität[V49:40] Die besondere Art und Weise, in der es einem Individuum gelingt, eine Balance herzustellen zwischen den verschiedenen und bisweilen sogar widersprüchlichen Erwartungen, denen es sich gegenübersieht auf der einen Seite und seinen eigenen Wünschen und Plänen auf der anderen Seite. Das Besondere an dieser Balance ist ihr reflexiver Charakter. Auf dem Niveau der Ich-Identität ist das Subjekt in der Lage, die Erwartungen der anderen genauso wie sei ne eigenen Pläne und Wünsche zu reflektieren und im Akt der Reflexion ihre Berechtigung argumentativ zu überprüfen.
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Interaktionskompetenz[V49:41] Die Fähigkeit des Subjekts, an Interaktionen teilzunehmen. Weil diese Fähigkeit bei keinem Individuum von Anfang an in vollem Umfang schon vorhanden ist, kann man von einer Entwicklung der Interaktionskompetenz sprechen. Auf der fortgeschrittensten Stufe in der Entwicklung der Interaktionskompetenz sind die Interaktionsregeln, denen das Subjekt folgt, das Ergebnis einer rationalen und gewaltfreien Übereinkunft mit seinen Interaktionspartnern. Die Interaktionskompetenz besteht dann in der Beherrschung von gemeinsamen Regeln, die in einer gleichberechtigten Diskussion mit anderen gefunden und begründet worden sind.
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Jugendhilfe[V49:42] So wird der Zusammenhang pädagogischer Einrichtungen und Maßnahmen genannt, der sich auf Bildungsprozesse und Erziehungsprobleme außerhalb der Institutionen des Bildungswesens bezieht, also vor allem: Jugendarbeit, Familienbildung, Heimerziehung, die Tätigkeit von Jugendämtern usw.. Die gesetzliche Grundlage für diesen Bereich des Erziehungssystems ist das Jugendhilferecht (gegenwärtig geltend das "Jugendwohlfahrtsgesetz).
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Relativismus, relativistisch[V49:43] Eine geschichtsphilosophische Position, die von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller gesellschaftlichen Erscheinungen ausgeht. Die Wissenssoziologie untersucht in dieser Einstellung die gesellschaftlich vorfindlichen Wissensformen und Ideologien; wobei die Wissenschaft selber als eine Formgesellschaftlichen Wissens unter anderen behandelt wird.
Lernziele
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▷[V49:45] die theoretischen Annahmen der Kritischen Erziehungswissenschaft auf besondere pädagogische Handlungsfelder oder Erziehungsaufgaben beziehen können;
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▷[V49:46] für einzelne Erziehungshandlungen angeben können inwiefern sie mit Veränderungen im ökonomischen System Zusammenhängen könnten;
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▷[V49:47] diskutieren können, inwiefern die Normalitätsvorstellungen, die in der Erziehung herrschen, vom gesellschaftlichen Wandel betroffen sind;
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▷[V49:48] die Handlungen von Kindern im Hinblick auf die in diesen Handlungen enthaltenen Moralvorstellungen beschreiben und beurteilen können und deren Abhängigkeit vom Entwicklungsverlauf und von der historisch-gesellschaftlichen Situation erkennen können.
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▷[V49:49] die Bedeutsamkeit und die besondere Ausdrucksform kindlich-ästhetischer Kreativität an praktisch-pädagogischen Beispielen zeigen können.
4.0 Einleitung
4.1 Ästhetische Erziehung – kritische Produktivität
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▷[V49:58] daß der Künstler nicht außerhalb der Gesellschaft steht, sondern in seinen Orientierungen und Empfindungen durch sie geprägt ist;
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▷[V49:59] daß das Material, das er verwendet, durch den Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere der Technik bestimmt ist;
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▷[V49:60] daß das Produkt, das Kunstwerk, das er schafft, gesellschaftlicher Anerkennung oder Ablehnung ausgesetzt ist;
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▷[V49:61] daß die Auseinandersetzung mit Kunstwerken Normen folgt, die an eingespielte Wahrnehmungsgewohnheiten und an Vorstellungen davon, was“schön”genannt werden darf, gebunden sind.
4.1.1 Ästhetische Bildung
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1.[V49:87]Der Gegenstand, dessen Gehalt im Vorgang der Bildung angeeignet werden soll – in diesem Falle also das Kunstwerk – wird zunächst höchst anspruchsvoll in seinem Eigenrecht hervorgehoben: Dem Kunstbetrachter und -Interpreten, dem, der durch Kunst sich bilden will, wird es sehr schwer gemacht. Um Kunst wirklich zu verstehen und auf nehmen zu können, wird von ihm die eigene volle Verfügung über künstlerische Gestaltungsmittel oder aber eine sehr hohe intellektuelle Leistung verlangt.Annäherungen (“Approximations-Werte”) seien nicht zureichend; ein halbes Verständnis sei gar keines, eine halbe Bildung nicht die“Vorstufe”, sondern das Gegenteil von Bildung. Es scheint zunächst so, als habe Erziehung hier gar keinen Platz mehr, als führe sie notwendig in den Dilletantismus.
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2.[V49:88] Dennoch aber ist ja von“Bildung”die Rede und nicht etwa von der Tätigkeit des Künstlers oder des Kunstwissenschaftlers. Es geht offenbar nicht nur darum, die ästhetischen Produkte der Kultur einfach nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern es geht ihm um die geistige Erfahrung, die das Kunstwerk dem vermitteln kann, der sich mit ihm auseinandersetzt. Damit hat auf den Punkt hingewiesen, der für jede Didaktik ein wesentliches Problem darstellt: Daß es nämlich eine Sache, einen Gehalt, eine zur Form gewordene geistige Erfahrung gibt, die dem Individuum vorgegeben ist in den Werken der Kultur und die es zunächst einmal zu respektieren gilt.
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3.[V49:89] In dem -Zitat ist schließlich die Rede von“Bildungselementen”, die in die“Kontinuität”des Bewußtseins“eingeschmolzen”werden müßten, sollen sie sich nicht in“böse Giftstoffe”verwandeln. Damit ist der Bildungsprozeß angesprochen. Der Vorgang des Heranwachsens und des sich bildenden und weiterbildenden Bewußtseins wird hier offenbar nicht so gedacht, als |A 20|sammele das Kind immer neue Vorstellungen hinzu, die gleichsam nebeneinander aufbewahrt werden und zum Abruf bereitstehen; vielmehr wird der Vorgang so gedacht, daß jede neue Erfahrung den ganzen Zusammenhang von vorhandenen Erfahrungen in gewisser Weise verändert; mit einer neuen Erfahrung bildet sich also immer auch eine neue Gestalt des Bewußtseins. Dies ist gemeint, wenn den Ausdruck“eingeschmolzen”verwendet. Unterbleibt diese Aneignung eines Bildungsgehaltes; bedeutet dieser für die Person nichts als ein äußerliches Wissen, ein Bestandteil konventioneller Kenntnisse; wird er also nicht zu einem auch aktiv für die Person verfüg baren Erfahrungsbestand, dann wirkt er sich als“Giftstoff”insofern aus, als die Person in Abhängigkeit von Konventionen und Traditionen gerät und nicht aus wirklich eigenen Erfahrungen handelt, sondern aus fremden; man könnte auch sagen, daß in diesem Sinne“Halbbildung”entfremdete Bildung ist.
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▷[V49:91] der Kunst nur in ihrer leicht zugänglichen Oberfläche aufzunehmen bereit ist,
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▷[V49:92] der in der Beschäftigung mit B√Kunst nur auf Vertrautes und Bekanntes stoßen möchte, und die Heranführung an Ungewohntes ablehnt,
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▷[V49:93] dem Kunst eher Erbauung bedeutet und nicht die Heraus|A 21|forderung einer mühevollen Auseinandersetzung, die seine Sinne ebenso wie seinen Intellekt beansprucht,
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▷[V49:94] der ästhetische Normen naiv und konventionell hinnimmt, sie als unveränderbar ansieht und sich gegen alles Fremde und damit auch gegen alles Neue, Unvorhersehbare verschließt.
Übungsaufgabe
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1.[V49:97] In einer Kleinstadt ist Höhepunkt der kulturellen Veranstaltungen eine einmal jährlich stattfindende Aufführung eines musikalischen Werkes, das von Musiklehrern, interessierten Laien usw. auf geführt wird. Diesmal ist es die von Mozart. Die Tochter möchte sich die Aufführung ansehen. Der Vater sagt:“Warte doch bis zur nächsten Woche, dann wird eine Aufführung von den Salzburger Festspielen im Fernsehen übertragen. Davon hast du doch viel mehr.”
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2.[V49:98] Ein Kreis von Jugendlichen und Erwachsenen trifft sich regelmäßig, um Hausmusik zu machen. Nachdem sie zunächst leichtere Barock-Stücke eingeübt haben, wagen sie sich an ein Streichquartett von , das ihnen sehr schwer fällt und ihnen nur unvollkommen gelingt.
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3.[V49:99] Kinder haben im Radio eine Kinderfunksendung gehört, in der mit selbstgebauten Instrumenten rhythmisch kleine Stücke gespielt wurden. Dadurch angeregt suchen sie ihre Blockflöten, Topfdeckel, Gläser usw. zusammen und versuchen selbst solche Musik zu machen. Tun sie dabei etwas für ihre ästhetische Bildung? oder ist das auch jene“Halbbildung”, die ihr“Todfeind”ist?
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4.[V49:100] Ein Kind, das Querflöten-Unterricht hat, übt an Etüden und Fingerübungen, die es zur nächsten Flötenstunde auf bekommen hat. Plötzlich fängt es an, in die Flöte zu sprechen, zu singen, Geräusche mit den Klappen zu er zeugen, Töne auf jaulen und verklingen zu las sen. Die Mutter kommt herein und sagt:“Hör doch endlich auf mit diesem entsetzlichen Katzengejammer!”
4.1.2 Einzelprobleme der Musikerziehung
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1.[V49:103] Ästhetische Erziehung konzentriert sich auf die Ausbildung instrumenteller Fertigkeiten, zielt also auf die Aneignung künstlerischer“Techniken”. Der Prototyp einer solchen Erziehung wäre der Virtuose, der Kunst adäquat reproduzieren kann.
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2.[V49:104] Ästhetische Erziehung konzentriert sich auf das Verstehen ästhetischer Gegenstände. Im Vordergrund einer solchen Bemühung stünde das Beschreiben, Analysieren und Interpretieren von Kunstwerken und ästhetischen Erscheinungen unserer Umwelt, das Erläutern der Geschichtlichkeit und der gesellschaftlichen Bestimmtheit solcher Erscheinungen. Der Prototyp einer solchen Anstrengung wäre beispielsweise der Kunstwissenschaftlicher oder der Kunstsoziologe.
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3.[V49:105] Ästhetische Erziehung konzentriert sich auf die Förderung subjektiver Spontaneität, auf Kreativität und Empfindsamkeit, ohne eine zielgerichtete, bewußte und Kriterien der Kunstproduktion standhaltene Gestaltung anzustreben. Die expressive Funktion der ästhetischen Tätigkeit des Kindes stünde im Mittelpunkt eines |A 24|solchen Erziehungskonzeptes und sein Prototyp wäre das“Kind als primitiver Künstler”.
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▷[V49:110] Zum einen ist die akustische Wahrnehmungsgestaltung – entgegen der ursprünglichen Wortbedeutung – ein Gebiet der Ästhetik, das in unseren Curricula eher am Rande liegt. Wir sind optisch weit besser geschult als akustisch (darauf weisen auch die Metaphern der Sprache hin, z. B. Augenzeuge, Augenblick, Anschauung, Blickpunkt, Blickfeld, Durchblick, Überblick usw.).
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▷[V49:111] Andererseits aber erscheint uns die Musik teils als vertrautes Requisit unseres Alltagsszenariums, wie Sprache und Bild, teils aber auch scheint sie – gerade in der Gestalt neuer Musik – als relativ unzugänglich und ist sie seltener Gegenstand von bewußter Anstrengung des Verstehens als beispielsweise sprachliche Kunst werke. Sie bleibt für uns häufig abstrakt und unverbunden mit konkreten Erfahrungen und Lebenszusammenhängen.
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▷[V49:117] Eigenschaften des Materials (“kontinuierlich, durchbrochen … starr, biegsam …, still …, dröhnend, punktig …, dünn, dick …, spritzig, öd”), also Klangfarben, Tonhöhe, Lautstärke, Intensität, Konsistenz, Modulation, Artikulation usw.
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▷[V49:118] Beziehungen der Töne zueinander (“monophon, polyphon …, gruppig, auseinander strebend und sich zusammenziehend …, Knoten, Gelenke”), also Regeln der Zusammenstellung von Tönen bzw. Geräuschen zu Klängen.
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▷[V49:119] Räumliche und zeitliche Bewegungsabläufe (kontinuierlich, durchbrochen, zerfetzt …, räumlich fixiert und vielschichtig, bewegt …") also Regeln der Anordnung akustischer Signale in der Zeit.
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▷[V49:121] das Auge, den Tastsinn, Bewegungssinn, Richtungssinn, sogar das Gefühl für das Gewicht von Gegenständen usw.
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▷[V49:122] Empfindungen, die die Wirkung der Klangartikkulation in uns auslöst;
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▷[V49:123] Assoziationen an Eigenschaften und Handlungen, die in Bezug auf andere zum Ausdruck gebracht werden, also Vorstellungen von sozialer Interaktion.
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▷[V49:125] daß Klang überhaupt erst durch Bewegung erzeugt wird,
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▷[V49:126] daß sich Verhaltenseigenschaften der Spieler und Mitspieler realisieren,
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▷[V49:127] daß der Klang als spielerische soziale Interaktion realisiert wird.
Übungsaufgabe
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1.[V49:134] Erzeugen Sie – zunächst jeder allein und nacheinander – mit einem beliebigen Gegenstand Klänge oder Geräusche, die von anderen Geräuschen in ihrer Qualität deutlich unterscheiden werden können;
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2.[V49:135] Versuchen Sie dann, die so entdeckten Klänge in eine Klang- oder Geräuschfolge zu bringen, die von den anderen Mitspielern als zusammenhängend bzw. in irgendeiner Form als gestaltet erlebt werden kann;
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3.[V49:136] Versuchen Sie nun dasselbe gemeinsam mit den anderen Mitspielern gleichzeitig, bemühen Sie sich, dabei auf die anderen Mitspieler zu hören und zu reagieren, also ein Zusammenspiel, eine Art Interaktion von Tönen zu erreichen. Versuchen Sie dabei Ihr Spiel daraufhin zu beobachten, ob so etwas wie eine gemeinsame“Idee”oder“Struktur”zu erkennen ist.
Übungsaufgabe
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1.[V49:144] Versuchen Sie, mit Freunden zusammen, ein Stück zu“komponieren”und graphisch zu notieren (wenn Ihnen nichts einfallen sollte und Sie Schwierigkeiten dabei haben, dann wählen Sie sich ein Thema, z. B. ein langsam einsetzender Regenschauer oder ein formales Thema: spitze kurze Geräusche gegen lange getragene Geräusche; große Höhen gegen große Tiefen oder ähnliches).
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2.[V49:145] Versuchen Sie dieses Stück zu spielen auf beliebigen klangerzeugenden Geräten; wenn Sie ein Tonband zur Verfügung haben, machen Sie eine Aufnahme davon.
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3.[V49:146] Überprüfen Sie nachträglich (möglichst mit Hilfe der Tonbandaufnahme), ob Ihre Ausführung eine befriedigende Interpretation des komponierten Stückes war, ob Sie sich davon entfernt haben, ob neue produktive Einfälle hinzugekommen sind.
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4.[V49:147] Versuchen Sie sich darüber klarzuwerden, welche Bewertungsmaßstäbe Sie ins Spiel bringen bei dem Versuch, das Gelingen oder Mißlingen eines Stückes zu beurteilen.
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5.[V49:148] Hören Sie sich von an (erschienen bei 305), oder das Stück von , oder von .
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▷[V49:151] aufmerksam und bewußt akustische und klangliche Ereignisse seiner Umwelt mit den Sinnen zu verfolgen;
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▷[V49:152] sich von überlieferten traditionellen Wahrnehmungsgewohnheiten zu lösen und diese nicht mehr als einzige Möglichkeit ästhetischer Gestaltung zu begreifen;
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▷[V49:153] sich in der handelnden Auseinandersetzung mit dem Material ästhetischer Produktion eigene Ausdrucksmöglichkeiten zu erschließen;
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▷[V49:154] die eigenen Gestaltungsversuche nicht nur als expressive spontane Gesten, sondern als Muster kreativer Gestaltung zu begreifen;
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▷[V49:155] sie der kritischen Beurteilung und Reflexion zu unter ziehen;
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▷[V49:156] sich den Zugang zu den experimentellen und improvisatorischen Formen Neuer Musik, die nicht mehr den gewohnten Begriffen von Melodik, Harmonik und Rhythmik folgen, zu erschließen.
4.2 Moralische Erziehung – postkonventionelle Moral
4.2.1 Stufen B√zur Ich-Identität
4.2.2 Zur Entwicklung der Interaktionskompetenz und des moralischen Bewußtseins
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1. Stadium[V49:168] Im ersten, dem motorisch-individuellen Stadium, beherrscht das Kind noch keinerlei Spielregeln. Wenn es mit den Murmeln hantiert, folgt es nur seinen eigenen Wünschen, seiner Neugierde und Experimentierlust. Durch häufige Wiederholungen entstehen bei dieser Gelegenheit zwar schon Regelmäßigkeiten in Gestalt ritualisierter Schemata, aber diese Regelmäßigkeiten bleiben individuell und erreichen nicht das Niveau einer mit anderen geteilten Spielregel. Es gibt noch überhaupt kein Bewußtsein von der Notwendigkeit einer solchen gemeinsam geteilten Regel, kein eigentlich moralisches Bewußtsein. Das Subjekt ist nur in der Lage, zwischen sich und seinen Wünschen einerseits und dem, was sich diesen Wünschen entgegenstellt andererseits, zu unterscheiden. Das Verhältnis der Einzelnen zueinander ist noch bestimmt entweder durch persönliche Macht und Unterwerfung oder durch einen naiven Egalitärismus: jeder respektiert die Einflußsphäre des anderen.
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2. Stadium[V49:169]Im selben Maße, wie die Konflikte zwischen den Individuen zunehmen, wächst auch der Wunsch nach einer gemeinsamen Regel. Im zweiten Stadium der Entwicklung der Interaktionskompetenz, im Stadium der Heteronomie, glaubt das Kind diese allgemeine Regel in der von außen durch die Älteren festgesetzten Spielstruktur gefunden zu haben. Es verzichtet jetzt auf die spontane Befriedigung seiner Absichten und versucht das Verhalten der Erwachsenen und älteren Kinder nachzuahmen. Die kollektiven Spielregeln, die es vorfindet, betrachtet es als heilig und unantastbar und weigert sich, auch die geringfügigste Änderung an ihnen hinzunehmen. In jeder Regeländerung sieht es einen Verstoß. Wenn es dennoch Regeländerungen anerkennt, dann nur deshalb, weil es sie nicht als Regeländerungen begreift, sondern als Offenbarungen einer bisher noch nicht restlos erkannten“ewigen”und universalen Ordnung. Die mystische Achtung vor überlieferten Regeln kennzeichnet das moralische Urteil in diesem Stadium. spricht in diesem Zusammenhang von konventioneller Moral. Gut nennen die Kinder jetzt eine Handlung, wenn sie der Vorgefundenen Ordnung entspricht, schlecht, wenn sie diese verletzt. Das Gute ist durch Gehorsam, das Schlechte durch Abweichung definiert. Es ist den Kindern dabei völlig gleichgültig, welchen Motiven eine Handlung entspringt; nicht die subjektive Absicht, die einer hat, ist für ihr moralisches Urteil maßgebend, sondern die reale Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung seiner Handlungen mit der vorgeschriebenen Regel.Paradoxerweise ist das Kind auf diesem Entwicklungsniveau zu der von ihm geforderten Übereinstimmung zwischen der generellen Regel und der individuellen Handlung, zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Interesse, selber noch gar nicht fähig. Seine mystische Achtung geht noch einher mit einer egozentrischen Spielpraxis. |A 45|Das Kind hält die gemeinsame Regel für heilig, ohne sie in Wirklichkeit befolgen zu können. Auch wenn das Kind subjektiv das Beispiel der Älteren nachahmt und der festen Überzeugung ist, mit |B 34|allen anderen die Spielregel zu teilen, objektiv spielt es nichtsdestoweniger beinahe genauso wie im Verlauf des motorischen Stadiums; es spielt für sich allein und folgt viel eher seiner eigenen Phantasie und Bewegung als der übergeordneten Idee. In dem egozentrischen Stadium der Regelbeherrschung können deshalb beim gemeinsamen Spiel sehr verschiedene individuelle Spielpläne und Spielverläufe mit je anderen Anfangs- und Endzeiten, mit wechselnden Rhythmen und Höhepunkten konfliktlos nebeneinander bestehen. Die Kinder denken nicht daran, die unterschiedlichen, ja z. T. gegensätzlichen Phantasien zu vereinheitlichen und objektive Regelverletzungen zu korrigieren. Sie stehen in einem eingebildeten, nicht in einem wirklichen Spielzusammenhang.
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3. Stadium[V49:170] Erst im dritten Stadium, dem Stadium der Autonomie, wer den die kindlichen Spiele wirklich sozial. Die Kinder überschreiten jetzt, nach einer Zwischenphase, die Grenzen ihres Egozentrismus und suchen die reale Zusammenarbeit mit anderen. Sie sind nun fähig, den gemeinsamen Regeln, denen sie sich bisher nur verpflichtet fühlten, auch in der Praxis zu folgen. Welche Kompetenz sie dabei wirklich erreichen, zeigen sie in der Genauigkeit, mit der sie sich durch dauernde Beobachtung und gegenseitige Kontrolle um die Einhaltung der gemeinsam anerkannten Spielregel sorgen. Aber nicht nur die Kompetenz in der Regelbeherrschung, auch das Regelbewußtsein ändert sich. Mit dem Übergang ins dritte Stadium machen sich die Kinder einen neuen Begriff von der Regel. Im selben Maße wie in den vorhandenen Regeln Inkonsistenzen hervortreten und mögliche Alternativen denkbar werden, verschwindet die einseitige Achtung |A 46|vor ihnen. Sie verlieren ihren heiligen und unantastbaren Charakter und werden als menschliche Produkte durchschaut. Durch die Entmystifizierung der Spielregeln wie der lebensweltspezifischen Normen überhaupt geraten die Kinder allerdings unter einen bisher unbekannten Legitimationsdruck. Sie sehen sich plötzlich vor die Aufgabe gestellt, die Regeln ihres Verhaltens autonom, unabhängig von der Überlieferung |B 35|zu begründen oder zu rechtfertigen. Diese Aufgabe stellt neue intellektuelle Ansprüche. Um ihnen gerecht zu werden, müssen die Kinder eine Unterscheidung treffen, mit der sie sich auf das Niveau einer‘Moral’begeben, in der zwischen Normen und normenerzeugenden Prinzipien unterschieden wird. Das Niveau einer solchen‘Moral’bezeichnet als postkonventionell. Die Kinder, die die Stufe der postkonventionellen Moral erreicht haben, betrachten die Regeln ihres Handelns nicht mehr als‘ewig’und unantastbar, sondern als gemacht und deshalb auch veränderbar. Bei der Veränderung alter und bei der Einführung neuer Regeln oder Normen orientieren sich die Kinder an einer“Art Ideal”. nennt es das Ideal der“Gegenseitigkeit”. Danach soll jeder das gleiche Recht haben, seine Argumente für oder gegen eine bestehende Regelung vorzutragen, und zwar so lange bis eine Übereinkunft erzielt ist. Die Herbeiführung einer solchen gegenseitigen Übereinkunft verlangt die zeitweilige Entlastung von Handlungszwängen und, wie sagen würde, den Eintritt in‘Diskurse’. Im Stadium der postkonventionellen Moral sind die Heranwachsenden fähig, solche‘Diskurse’zu führen, ja sie finden sogar Gefallen daran. Sie versuchen nicht nur, eher zusammen als alleine zu spielen, sie sind auch geradezu darauf erpicht, die Regeln des Spiels immer wieder zu überprüfen und neu zu kodifizieren.
4.2.3 Moralische Erziehung – Analyse einer Interaktionssequenz
4.2.3.1 Das Interaktionsprotokoll
1 Sonja: | Der bringt immer Messer mit. Wo Sherry … | ||
2 Erzieher: | Ein Messer bringt er mit, mhm | ||
3 Sonja | … und er bringt, wo Sherry noch hier war, da hat er, ehm, lauter, immer so mit Messern rumgespielt, bis er sich mal schnitt, schneidet. | ||
4 Alfred: | Ich hab mich schon mal geschneidet, aber da hab ich mich nicht, da hab ich nicht geweint, bä! | ||
5 Sonja: | (zu Alfred) Aber du bist ja auch größer als die kleinen Kinder und hier … | ||
6 Moritz: | (unterbricht Sonja, laut) Ach, ich hab mich auch schon mal, den ganzen Finger abgeschnitten, ne, den ganzen Finger geklemmt, den ganzen Finger in die Tür geklemmt. | 7 Erzieher: | (zu Sonja) Ja, was wolltest du eben sagen, warum er die Messer mitbringt? |
8 Sonja: | (unterbricht Moritz) Mensch, leise, du sollst nicht sprechen, wenn ich… | 9 Alfred: | zum Stöcke abmachen |
10 Moritz: | (so laut wie vorher) Hier, ich hab mir schon mal den ganzen, den ganzen Finger geklemmt | ||
11 Erzieher: | Geklemmt? | ||
12 Moritz: | Da war hier ein Verband drüber. | ||
13 Erzieher: | Einen Verband hast du drüber gekriegt und dann war es wieder gut? | ||
14 Moritz: | (nickt) | ||
15 Sonja: | (zu Moritz) Jetzt sei mal ruhig, (zum Erzieher auf Alfred weisend) Außerdem, wenn er noch mal ein Messer mitbringt, steckt das sofort weg, da kann man was an den Kopf kriegen, ins Auge, in ’n Mund. | ||
16 Moritz: | Weißte was, das hab ich ja mal Herrn Paine gegeben, das rote Messer. | ||
17 Sonja: | Ja und, aber trotzdem, du bringst ja eben jeden Tag was anderes mit. | ||
18 Erzieher: | Und soll er das nicht? | ||
19 Sonja: | Nein, da kann ja leicht Kinder tot von sterben. | ||
20 Erzieher: | Ja | ||
21 Sonja: | Da können se auch hier (sie zeigt auf ihr Knie) das Bein abschneiden | ||
22 Erzieher: | (zu Dieter) Was meinst du denn? | ||
23 Moritz: | Ich schneid mir das Bein nicht. | ||
24 Erzieher: | Soll er Messer mitbringen oder soll er keine mitbringen? | ||
25 Dieter: | Keine. | ||
26 Erzieher: | Keine? | ||
27 Dieter: | (schüttelt den Kopf) | ||
28 Sonja: | Außerdem, er verborgt die, er verschenkt die … | ||
29 Erzieher: | Ja. | ||
29 Sonja: | .. und das ist ungerecht, sei, seine Mutter muß die immer kaufen. | ||
31 Erzieher: | Ja. | ||
32 Sonja: | .., er will die und er verschenkt sie. | ||
33 Alfred: | (laut, fast schreiend) Äh, weißte was ich kann mit meinen Sachen machen, was ich will, das sind ja nicht deine Sachen, bä! | ||
34 Sonja: | Und deine Mutter muß immer das ganze Geld ausgeben. | ||
35 Alfred: | Ne, ich hab ja sowieso Geld. | ||
36 Sonja: | Deine Mutter, deine Mutter … | ||
37 Alfred: | Na und, ich hab ja sowieso Geld. | ||
38 Erzieher: | Ja, aber, wenn alle hier, alle Kinder sagen, daß du kein Messer mitbringen sollst, kannst du dann … | ||
39 Sonja: | Aber … | ||
40 Erzieher: | … kannst du dann trotzdem noch Messer mitbringen? | ||
41 Sonja: | Wenn er (auf Moritz weisend), er, wenn er mal den Magen aufschneidet, dann muß er ins Krankenhaus. Meine Oma,die hat schon mal so en großen Magen aufgschnitten gehabt. Da ist sie gestorben. | ||
42 Erzieher: | Ja. | ||
43 Sonja: | Jetzt hab ich nur noch eine Oma. | ||
44 Erzieher: | Ja, ja, jetzt hast du nur noch eine Oma. | ||
45 Sonja: | (zu Alfred) Daß des weißt. | ||
46 Alfred: | Ach, du hast ja gar keine Oma, das weiß ich nämlich. | ||
47 Sonja: | Jawohl, hab ich, in Kassel. Die kannste, da mußte zwei Stunden mitn Zug fahren, erst bergrunter mitn … | ||
48 Alfred: | Ach, mitn Zug, da kommen wir ja schon mit unserem Capri hin. | ||
49 Erzieher: | Ja aber, wie ist denn das mit den Taschenmessern? Ich finde das auch nicht gut mit den Messern. | ||
50 Dieter: | Ja. | ||
51 Sonja: | Und außerdem, da könnte … | ||
52 Alfred: | Darf ich mir keine Stöcke abschneiden? | ||
53 Sonja: | … da, ne, die we, die Großen werfen, daß die Kinder das in | 54 Erzieher: | Ja, wenn wir … |
die Augen kriegen. | 55 Erzieher: | Ja | |
56 Alfred: | (zu Sonja) Ich hab mich schon mal geschnitten, daß du’s weißt. | ||
57 Sonja: | Die kleinen Kinder sollen gar nicht mit Messern umgehen und da drangehen. können das . Außerdem, da können sie sich so leicht schneiden. | 58 Erzieher: | Ich meine, wenn, wir können das … |
59 Dieter: | Ja. | ||
60 Erzieher: | (zu Dieter) Meinste auch? – Also bringen wir ab jetzt keine Messer mehr mit, nicht? | ||
61 Sonja: | (wischt Moritz etwas Blut vom Mund) Guck mal wie er blutet, er hier. | ||
62 Erzieher: | Aber das ist nicht vom Messer, ne? | ||
63 Alfred: | Ne, das ist nicht vom Messer! | ||
64 Erzieher: | Was, wovon ist das denn? | ||
65 Alfred: | Wir haben uns da geprügelt | ||
66 Erzieher: | Ach so. | ||
67 Sonja: | Prügeln sollte man sich auch nicht: Da kann … | ||
68 Alfred: | Wir, ich kann machen, wenn mich einer angreift, na, dann kann ich mich ruhig mit dem prügeln. | ||
69 Erzieher: | Ja. | ||
70 Sonja: | Aber wenn… | ||
71 Moritz: | Ah. | ||
72 Sonja: | (zu Moritz) Hier sei mal ruhig. | ||
73 Moritz: | Ich, ich hab nämlich ein Gewehr, das schießt mit Patronen. | ||
74 Sonja: | (zu Moritz) Sei ruhig. | 75 Erzieher: | Aha. |
76 Sonja: | (zum Erzieher) Sei mal ruhig. Außerdem… | ||
77 Alfred: | (auf Moritz deutend) Der, der hat ja en Spleen. | ||
78 Sonja: | … ich hab … | ||
79 Alfred: | Und meiner, ne, der hat nen Achterschuß. | ||
80 Erzieher: | Welcher deiner? | ||
81 Alfred: | Mein, mein Vater. | ||
82 Erzieher: | Ach so, und wenn er mit dem Gewehr kommt, mit den Patronen kommt, dann kommt dein Vater? | ||
83 Dieter: | Das darf man gar nicht. | ||
84 Alfred: | Doch. | ||
85 Dieter: | Dann kommt die Polizei. | ||
86 Dieter: | Dann kann ich, ne, da kann ich nämlich ne Anzeige machen. | ||
87 Sonja: | Außerdem prügeln, wenn einer das Messer in der Hand hat, ne, und ihr prügelt euch, dann kann einer sich stechen. | ||
88 Erzieher: | Siehste. | ||
89 Alfred: | Ach ja, wir gehen ja gar nicht mit Messern dran, wir gehen nur mit Fäusten dran. | ||
90 Erzieher: | Ja, da kann man nur bluten bei, ne? | ||
91 Alfred: | Hm. (bestätigend) | ||
92 Erzieher: | Das ist nicht so schlimm, oder? | ||
93 Alfred: | (schüttelt den Kopf) | ||
94 Sonja: | Jawohl ist das schlimm, da kann man leicht, mhm, tot gehen oder krank werden. | ||
95 Alfred: | Ach. | ||
96 Sonja: | Jawohl, (zum Erzieher gewandt) ne? | ||
97 Alfred: | Tot gehen kann man leider nicht, wenn man nicht mit dem Messer zuschlägt. | ||
98 Sonja: | Jawohl | ||
99 Erzieher: | So, vom Prügeln kann man nicht totgehen? | 100 Dieter: | Dann kommt nämlich die Polizei… |
101 Alfred | Nee! | 102 Sonja | So was macht man auch nicht als Kinder. |
103 Dieter | (zum Erzieher) ne? | ||
104 Erzieher: | (zu Dieter) Ja | ||
105 Dieter: | Da müßte der Vater, da müßte der Vater ins Gefängnis | ||
106 Alfred: | (freudig erregt) Ah, der Derrick Overdieck, der hat die Schrauben rausgedaubt, rausgeklaubt. | ||
107 Sonja: | Außerdem, weil, wennste das noch mal machst, kann er auch hier (sie zeigt auf ihr Gesicht) noch aufgeschnitten kriegen, ge? | ||
108 Moritz: | Wenn er sich seine Augen aussticht… | ||
109 Sonja: | (zu Moritz, leise) Sei jetzt ganz ruhig, sonst fängt das wieder an zu bluten. | ||
110 Erzieher: | (laut) Ach, wenn er, wenn er noch weiter spricht, dann fängt das wieder an zu bluten? | ||
111 Sonja: | (grinst) | ||
112 Erzieher: | (lacht) | ||
113 Sonja: | (steht auf und gibt dem Erzieher einen Klaps auf den Kopf) | ||
114 Erzieher: | (lacht, zu Moritz) Also stimmt das nicht, also kannst ruhig was sagen, das fängt nicht einfach an zu bluten. | ||
115 Sonja: | (grinst) Doch! | ||
116 Erzieher: | He? | ||
117 Sonja: | (lacht) | ||
118 Erzieher: | Doch? (lacht) | ||
119 Alfred: | (unverständlich) | ||
120 Moritz: | (zu Alfred) Hier, wenn du mein ganzes Gesicht aufschneidest, dann mußt es bezahlen. | ||
121 Alfred: | Ach | ||
122 Erzieher: | Ja | ||
123 Sonja: | Nee | ||
124 Erzieher: | Was kostet dein Gesicht? | ||
125 Sonja: | Hundertzehn … | ||
126 Alfred: | (schreit) Zweihundertzehn Mark, arschklar. | ||
127 Erzieher: | Zweihundertzehn Mark? Zweihundertzehn Mark? Und wieviel Mark hast du? | ||
128 Alfred: | Weiß ich nicht. | ||
129 Erzieher: | Was hastn in deiner Tasche? | ||
130 Alfred: | Auf dem Spar, auf der Sparkasse hab ich, äh, nur alles groß, nur alles Großgeld. | ||
131 Erzieher: | Ja | ||
132 Alfred: | Und auf, und das ich jetzt habe, habe ich alles nur Kleingeld. | ||
133 Erzieher: | Ja | ||
134 Sonja: | Du weißte was dabei passieren könnte, mit Messern? | ||
135 Erzieher: | Ja? | ||
136 Sonja: | Könnte man sich den Fuß abschneiden | ||
137 Erzieher: | Den Fuß kann man sich abschneiden? Was kostet denn ein Fuß? | ||
138 Sonja: | (lacht) Gar nichts. Du fragst ja nur lauter Scheiße | Alfred: | (lacht) |
139 Erzieher: | Ja | ||
140 Sonja: | (lacht) Und lauter, hast keine mehr (tippt an ihren Kopf) keine Tick, Methematik, ne, (lacht) | ||
141 Erzieher: | Keine, keine Mathematik | ||
142 Sonja: | (lacht) | 143 Dieter: | (lacht) |
144 Moritz: | (Schaut den Erzieher an) Wollen wir mal kämpfen. | ||
145 Alfred: | Wir machen Dalli-Dalli | ||
146 Erzieher: | Mathematik, dann tickt das so. | ||
147 Sonja: | (gibt dem Erzieher mehrmals einen freundlichen Klaps auf den Kopf) | ||
148 Moritz: | (geht auf den Erzieher zu) Wollen wir kämpfen? (Er stürzt sich auf den Erzieher) | ||
149 Sonja: | (stürzt sich auch auf den Erzieher) | ||
150 Alfred: | (schreit) los auf ihn drauf! (Er stürzt sich auch auf den Erzieher) | ||
151 Erzieher: | Moment, Moment, dann haben wir gleich alle blutige Lippen! | ||
Die Szene verwandelt sich in ein großes Geschrei und Gebalge. |
4.2.3.2 Die Analyse
-
1.[V49:175] An welchen moralischen Prinzipien orientiert sich der Erzieher im Umgang mit den Kindern?
-
2.[V49:176] Welche Stufe in der Entwicklung des moralischen Bewußtseins haben die Kinder erreicht?
-
3.[V49:177] Wie definieren die beiden Kontrahenten, Sonja und Alfred, die Situation, in der sie sich gemeinsam befinden?
Übungsaufgabe
An welchen moralischen Prinzipien orientiert sich der Erzieher im Umgang mit den Kindern?
(109) Sonja: | (zu Moritz, leise) Sei jetzt ganz ruhig, sonst fängt das wieder an zu bluten. | ||
(110) Erzieher: | (laut) Ach, wenn er, wenn er noch weiter spricht, dann fängt das wieder an zu bluten? | ||
(111) Sonja: | (grinst) | ||
(112) Erzieher: | (lacht) | ||
(113) Sonja: | (steht auf und gibt dem Erzieher einen Klaps auf den Kopf) | ||
(114) Erzieher: | (lacht, zu Moritz) Also stimmt das nicht, also kannst ruhig was sagen, das fängt nicht einfach an zu bluten. |
Welche Stufe in der Entwicklung des moralischen Bewusstseins haben die Kinder erreicht?
(15) Sonja: | … da kann man was an den Kopf kriegen, ins Auge, in B√ Mund. |
(19) Sonja: | … da kann ja leicht Kinder tot von sterben. |
(21) Sonja: | … Da können se auch hier (sie zeigt auf ihr Knie) das Bein abschneiden. |
(53) Sonja: | … das die Kinder das in die Augen kriegen. |
(57) Sonja: | Außerdem, da können sie sich so leicht schneiden. |
(107)Sonja: | … kann er auch hier (sie zeigt auf ihr Gesicht) noch auf geschnitten kriegen, ge? |
(136)Sonja: | Könnte man sich den Fuß abschneiden. |
Wie definieren die beiden Kontrahenten, Sonja und Alfred, die Situation, in der sie sich gemeinsam befinden?
(1) Sonja: | Der bringt immer Messer mit. Wo Sherry … |
(2) Erzieher: | Ein Messer bringt er mit? Mhm |
(3) Sonja | … und er bringt, wo Sherry noch hier war, da hat er, ehm, lauter, immer so mit Messern rumgespielt. |
4.2.4 Ein unerledigtes Problem
4.3. Abweichendes Verhalten –
“Normalität” und
“Anormalität”
4.3.1 Einleitung
Übungsaufgabe
-
1.[V49:231] Versuchen Sie die Ausdrücke des“Vokabulars”für jeden der drei Abschnitte gesondert in geschichtlich zusammengehörende Gruppen zu ordnen (z. B. gehören“Verfassungsfeinde”und“Hexen”offenbar unterschiedlichen geschichtlich-gesellschaftlichen Kontexten an).
-
2.[V49:232] Versuchen Sie außerdem, solche Ausdrücke herauszufinden, die eher eindeutige Zuordnung von Personen erlauben (z. B.“Krüppel”ist eindeutiger als“Depp”;“brandmarken”eindeutiger als“verachten”).
-
3.[V49:233]Versuchen Sie schließlich in einigen Fällen eine Zuordnung von
-
–der Bezeichnung für eine Person
-
–der Art des Umgangs mit dieser Person
-
–und der für sie vorgesehenen Einrichtung
(Z. B.:“Geisteskranke – verwahren – Irrenhaus”oder“Geisteskranke – heilen – Therapie”) -
4.3.2 Die handlungsleitende Funktion von Normalitätsdefinitionen
Übungsaufgabe
-
a)[V49:241] minderbegabt
-
b)[V49:242] verwahrlost
-
1.[V49:244] Charakterisieren Sie die sozialen Beziehungen, die den Umfang (die Erwartungen und Bewertungen) zwischen den Abweichlern und anderen Gesellschaftsmitgliedern bestimmen, und überlegen Sie, wie wohl dem Abweichler dabei "zumute ist.
-
2.[V49:245] Wie werden die gesellschaftlichen Maßnahmen gegenüber diesen Abweichungen gerechtfertigt?
-
3.[V49:246] In welchem Verhältnis stehen nach Ihrem Urteil erklärter Zweck und erzielte Wirkung?
-
4.[V49:247] Wann haben Sie zum letzten Mal gegen eine geltende Norm (z. B. Strafrechtform) verstoßen? und: Sind Sie dafür bestraft worden?
-
5.[V49:248] Beobachten Sie an sich selbst Verhaltensweisen, Gedanken oder Affekte, die etwas mit‘Verwahrlosung’zu tun haben? Wenn nicht: Beunruhigt oder befriedigt Sie das?
4.3.3 Historizität und Wandel gesellschaftlicher Normalität
4.3.4 Erziehungswissenschaft und Abweichung
B√Historische und gesellschaftstheoretische Analyse
-
▷[V49:271] Welche Kategorien von Devianz sind für die Definition des Normalen und Anormalen in einer bestimmten geschichtlichen Situation oder Epoche vorherrschend?
-
▷[V49:272] Welche Institutionen wachen über die soziale Geltung dieser Definition?
-
▷[V49:273] Unter welchen ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen entwickeln sich die betreffenden Kategorien und Einrichtungen?
- |B 63|
-
▷[V49:274] In welchem Zusammenhang stehen sie mit anderen Bereichen der Gesellschaft und mit deren Entwicklungsdynamik?
- |A 81|
-
▷[V49:275] Welche und wessen partikulare Interessen setzen sich mit den jeweiligen Normierungen durch? Auf wessen Kosten?
-
▷[V49:276] Welche gesellschaftlichen Gruppen, Schichten und Klassen werden vorwiegend sanktioniert? Welche werden geschont?
-
▷[V49:277] Wie werden die Normalitätskriterien gerechtfertigt?
-
▷[V49:278] Welches Wissen wird in ihrem Zusammenhang produziert und verwendet? Welches dagegen unterdrückt? Welche Rolle spielt dabei die Wissenschaft?
-
▷[V49:279] Welches Schicksal erleidet das einzelne Subjekt unter solchen Bedingungen? Werden seine historisch gegebenen oder herstellbaren Glücksmöglichkeiten und Freiheitschancen erweitert oder eingeschränkt?
B√Suche nach theoretischen Maßstäben
Übungsaufgabe
-
1.[V49:302]Stellen Sie zunächst – ohne lange zu überlegen! – eine Ihrer Auffassung und Ihrem Empfinden entsprechende Reihenfolge her, so daß die‘schwerwiegendste Abweichung’an erster Stelle und die geringfügigste an letzter Stelle plaziert ist!
-
(1)
-
(2)
-
(3)
-
(4)
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(5)
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(6)
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(7)
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(8)
-
-
2.[V49:303]Überlegen Sie, welches Interesse durch die jeweilige Abweichung am stärksten verletzt wird:
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(a)das der Gesellschaftsordnung im ganzen?
-
(b)einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder Institution?
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(c)das konkreter anderer Menschen?
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(d)das des abweichenden Individuums selber?
-
-
3.[V49:304] Mit welcher Form von Abweichung könnten Sie sich am ehesten identifizieren? – Welche ist Ihrem Fühlen und Denken am fremdesten?
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4.[V49:305]Stellen Sie sich vor, Sie würden von anderen
-
–als Dieb(in)
-
–als verwahrlost
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–als Prostituierte(r)
-
–als drogensüchtig
-
–als Steuerhinterzieher(in)
-
–als Verfassungsfeind
-
–als homosexuell
-
–als Neurotiker(in)
identifiziert. Unter welcher dieser Beurteilungen würden Sie am meisten leiden?Warum? -
B√Ausgrenzung als Interaktion
4.4 Grundregeln des Erziehungshandelns – Erziehung als Vergesellschaftung
4.4.1 Einleitung
-
▷[V49:328] die gesellschaftlich geltenden allgemeinen Standards für sinnvolles Handeln der erwachsenen Gesellschaftsmitglieder und
-
▷[V49:329]die – ebenso gesellschaftlich geltenden – Annahmen über die“Natur”des Educandus, die“angemessenen”Reaktionen auf ihn, seine Rolle und Stellung in der Gemeinschaft.Bliebe es bei diesen beiden Sachverhalten, dann wäre kaum erklärbar, wie ein Erzieher dazu kommen kann, auch neue Regeln des Umgangs mit dem Educandus zu“erfinden"”. Wir müssen deshalb noch einen dritten Sachverhalt berücksichtigen, der damit zu tun hat, daß angesichts der relativen Zukunftsoffenheit jedes individuellen Bil|A 94|dungsprozesses auch unvorhersehbare neue Erfahrungen möglich sind, also
-
▷[V49:330] die Erfahrungen, die der Erzieher mit dem Educandus und die dieser mit dem Erzieher macht, und zwar unter der Bedingung jener ins Spiel gebrachten Standards und Annahmen.
Übungsaufgabe
4.4.2 Die historische Bestimmtheit pädagogischer Handlungsregeln
-
1.[V49:335] Im Zusammenhang mit dem in den letzten beiden Jahrzehnten kräftig gewordenen Interesse an der Sozialgeschichte wurden – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in England, Frankreich und den USA – eine große Anzahl von Untersuchungen zur Geschichte der Kindheit und der Familie veröffentlicht (z. B. Aries 1975 (1. Aufl. 1960), de Mause 1977 (1. Aufl. 1973), Miterrauer/Sieder 1977, Conze 1976). Für unsere Fragestellung ist eine Kontroverse zwischen dem Franzosen und dem Amerikaner von besonderer Bedeutung.
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▷[V49:341] Was hat sich erziehungsgeschichtlich ereignet?
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▷[V49:342] Wie sind die Ereignisse oder Vorgänge zu bewerten?
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▷[V49:344] Im Verlauf der Neuzeit – am deutlichsten registrierbar im 18. Jahrhundert – wird die physische“Beschädigung”von Kindern (Kindesmord, Kindersterblichkeit, Ausstoßung von Kindern, Physische Züchtigung) seltener.
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▷[V49:345] Die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern erhält eine immer stärkere affektive Tönung.
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▷[V49:346] Es entsteht die“bürgerliche Familie”, aus zwei Generationen bestehend (dies vor allem im 19. Jahrhundert), für die die Erziehung der Kinder ein dominantes Thema wird.
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▷[V49:347] Sieht man sich die Grundrisse von Häusern und Wohnungen an, dann entdeckt man, daß im 17. und 18. Jahrhundert (im Bürgertum) die Großräume (Hallen) verschwinden und die Wohnung eine innere Gliederung der Räume nach Funktionen und Rollen erhält. Das“Kinderzimmer”kündigt sich an.
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▷[V49:348] Es entsteht außerdem eine pädagogische Aufklärungsliteratur, in der Eltern Ratschläge gegeben werden, wie sie mit ihren Kindern umgehen sollten, welche“Techniken”für das Lernen des Kindes nützlich seien (Spielzeug, Lernspiele usw.) und welche Einstellungen und Handlungen dem Kind gegenüber zu wünschen wären (Psychologie des Kindes).
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▷[V49:350] Ungefähr gleichzeitig mit den Veränderungen in den Beziehungen der Generationen – manchmal früher, manchmal später – sind Veränderungen im ökonomischen System, besonders der Produktivkräfte und Produktionsweisen, beobachtbar.
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▷[V49:351] Es entstehen Manufakturen, d. h. produzierende Gewerbeunternehmen mit interner Arbeitsteilung und neuem Bedarf an Qualifikationen; außerdem entsteht ein gesellschaftlicher Bedarf an Verwaltungspersonal, an staatlichen Beamten.
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▷[V49:352] Die Trennung von Familienwohnung und Arbeitsplatz vollzieht sich; das bedeutet u. a. eine Dissoziation von produktiver (Arbeit) und reproduktiven (z. B. Erziehung) Funktionen. usw.
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1.[V49:358]– ein englischer Bildungsforscher – hat 1971 in einem Aufsatz (“Klassifikation und Vermittlungsrahmen im schulischen Lernprozeß”, Zeitschrift für Pädagogik Jg. 1971) einen für die Curriculum-Revision wichtigen Vorschlag gemacht. Er meint, daß einige Eigentümlichkeiten der gegenwärtigen Organisation des schulischen Lernens besonders deutlich hervortreten, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wie wir heute eigentlich vorwiegend die Lerninhalte klassifizieren und den Lern- oder Bildungsprozeß organisieren. Was er herausgefunden hat, ist dies: anstelle eines – prinzipiell denkbaren und in der vor industriellen Gesellschaft auch vorherrschend gewesenen –“integrativen”Curriculums bevorzugen wir heute ein“Kollektions”-Curriculum; d. h. wir entwickeln die Bildungsanforderungen nicht mehr aus dem sozialen und lebensgeschichtlichen Erfahrungsraum des einzelnen Kindes (“integrativ”), sondern aus einer dem Kind |A 101|abstrakt vorgegebenen Klassifikation von Wissensbeständen, die in der Gesellschaft für wichtig gehalten werden und die sich das Kind und der Jugendliche mit Hilfe des Fächerangebots zusammensammeln müssen (“Kollektion”).“Man wird durch diesen Lernprozeß mit zunehmen dem Alter immer verschiedener von anderen. Das geschieht natürlich innerhalb jedweder Bildungskarriere, aber innerhalb des spezialisierten Angebot-Systems setzt dieser Prozeß viel früher ein. Deshalb entwickelt sich durch Spezialisierung sehr schnell Unterschiedenheit von anderen im Gegensatz zu Gemeinsamkeiten mit ihnen. Es wird sehr schnell eine bildungsbedingte Identität geschaffen, die eindeutig und fest umrissen ist.”(. 156 f.)
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2.[V49:359] Kinderspiele und Spielzeug für Kinder gab es vermutlich immer. Im 18. Jahrhundert aber wird ein kräftiger historischer Einschnitt sichtbar: während beispielsweise in bildlichen Darstellungen die Spiele bis dahin nur wenig Variationen zeigen (es tauchen durch den Verlauf des Jahrhunderts der europäischen Geschichte immer wieder die gleichen Darstellungen auf), bringt das 18. Jahrhundert etwas Neues: es tauchen jetzt“Lernspiele”auf, die ausdrücklich von den Erwachsenen für die Kinder aus“pädagogischen”Gründen entwickelt werden: Puppenstuben zur Einübung in das soziale Feld“Familie”, Lotto-Spiele zur Übung von Zahlbegriffen und Buchstaben,“sportliche”Spiele zur gezielten körperlichen Ertüchtigung, nicht nur zur Befriedigung der motorischen Lustbedürfnisse des Kindes.
Übungsaufgabe
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3.[V49:364]In seinem Buch“Überwachen und Strafen”schildert der französische Philosoph und Sozialwissenschaftlicher , wie im 18. Jahrhundert eine Sichtweise des Menschen entsteht, die in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, auch in der Erziehung, sich durchsetzt. Er formuliert diese Entwicklung in Form verschiedener“Prinzipien”, von denen wir einige, für die Erziehung besonders wichtige, aufzählen wollen:
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1.Das Prinzip der“Parzellierung”:Das Lernen der Kinder vollzieht sich nicht mehr inmitten anderer Handlungsvollzüge, von diesen nur schwer zu trennen, sondern an besonderen Orten, in besonderen Räumen: im Kinderzimmer, der Schulklasse, dem Heim usw..
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2.Das Prinzip der Rang-Ordnung:Die Älteren werden von den Jüngeren, die“Besseren”von den“Schlechteren”, die“Normalen”von den“Abweichenden”(Waisenhäuser, Heime, später dann auch Sonderschulen und -Klassen) getrennt. Diese Rangordnung“indivi|B 81|dualisiert die Körper durch eine Lokalisierung, die sie nicht verwurzelt (z. B. in der Lebenseinheit eines Hauswesens, einer Gemeinde, einer sozialen Gruppe, d. Verf.), sondern in einem Netz von Relationen verteilt”(S. 187)
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3.Das Prinzip der Zeitplanung: Es präzisieren sich die Vorstellungen davon, daß der Bildungsgang des Kindes in Phasen verläuft, in denen es – soll es als“normal”gelten – jeweils bestimmte Lernleistungen zu erbringen hat; innerhalb der Phasen wird der Lernrhythmus (z. B. in der Schule) von der Arbeitszeit und der Spielzeit unterschieden, die Lernzeit wiederum in Unterrichtsstunden unterteilt. Wer es besonders gründlich machen wollte, verengt dies mechanische Zeitgitter – das sich nicht mehr an dem subjektiven Lernrhythmus des einzelnen Kindes und dem Lebensrhythmus seiner unmittelbaren Umwelt orientiert, sondern an der gesellschaftlichen Nutzbarmachung seiner Kräfte – noch weiter:“8.45 Eintritt des Monitors (Hilfslehrers), 8.53 Ruf des Monitors, 8.56 Eintritt der Schüler und Gebet, 9 Uhr Einrücken in die Bänke, 9.04 erste Schiefertafel, 9.08 Ende des Diktats, 9.1 2 zweite Schiefertafel usw.”(zitiert bei Foucault, S. 193)Wenn auch die Angaben in diesem letzten Zitat uns heute übertrieben erscheinen:|A 104|Die Prinzipien der räumlichen Aufgliederung von Lernleistungen, der Einordnung des Kindes in, eine Leistungs-Rang-Skala, der mechanischen Zeitgliederung von Bildungsprozessen (auch weitere, nur nicht ausgeführte Prinzipien der pädagogischen Organisation) sind auch in der Gegenwart noch in Geltung.
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4.4.3 Die praktischen Fragen
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▷[V49:371] auf den Bildungsgang des Individuums bzw. die Art, in der Erzieher und Lehrer sich an der Hervorbringung dieses Bildungsganges beteiligen, und
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▷[V49:372] auf die“Verhältnisse”, die solche Bildungsgänge stützen, ihnen gesellschaftliche Chancen einräumen, ihre“Verwertung”sichern.
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▷[V49:374] Welches Spielzeug soll er wählen?
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▷[V49:375] Wie soll er mit dem Kinde reden?
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▷[V49:376] Welche“Tugenden”darf er vom Kinde erwarten?
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▷[V49:377] Soll er das“Glück”des Kindes in der Gegenwart für gewichtiger halten als sein zukünftiges Glück, vielleicht um den Preis, daß das Kind im Augenblick der Erziehung leidet?
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▷[V49:378] Soll er sich für ein“integriertes”Curriculum entscheiden oder für den, an dem Stand der kindlichen Erziehung gemessen, abstrakten,“Kollektions”-Typus?
- |A 106|
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▷[V49:379] Soll er die Planung von Bildungsprozessen an mechanischen Zeitrhythmen orientieren oder am subjektiven Lernrhythmus des Kindes?
- |B 83|
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▷[V49:380] Soll er dem Kinde vermitteln, daß derjenige erfolgreich, glücklich, geachtet ist, der sich – nach Maßgabe der geltenden Rangordnung – durchsetzt gegen seine Konkurrenten, oder soll er in dem Kinde Zweifel an diesem Prinzip und die Fähigkeit, ihm ohne Schaden zu widerstehen, wecken?